Rezension: „Es sei denn regenbogenwärts“

Mi, 18.11 2020

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Rezension von Martina Herda, Ausgabe 45/2020 WÜRZBURGER KATHOLISCHES SONNTAGSBLATT zum Buch: „Es sei denn regenbogenwärts“
Herausgeber Hans Amadé Esperer stellt Mohrs Lyrik Gedichte den Ikonen des Expressionismus gegenüber. Er nimmt den Leser mit auf eine Reise durch Schmerz und Qual – von denen uns eher Mohr erlöst als seine berühmteren Kollegen.
Ein Foto von Max Mohr (1891-1937) öffnet den Blick in das Buch und auf das lyrische Werk des gebürtigen Würzburgers. Sein Roman „Frau ohne Reue“ hätte dieses Jahr Thema der Reihe „Würzburg liest ein Buch“ sein sollen, wäre nicht das Virus dazwischengekommen. Flankierend zu der geplanten Leseaktion ist nun ein schmaler Band mit Mohrs Sonetten erschienen unter dem Titel „Es sei denn regenbogenwärts“. Herausgeber ist der bekannte Würzburger Autor Hans Amadè Esperer.
Der Herausgeber zeigt sich von den Gedichten Mohrs berührt, und berührt ist auch der Leser – durchaus auch aufgrund der Wahl des Fotos, welches Esperer dem Buch voranstellt: wache, weltoffene Augen blicken freundlich durch runde Brillengläser, sie blicken hellsichtig auf die Welt. Die zum Lächeln leicht geöffneten Lippen suchen die Zwiesprache mit dem Gegenüber. Es war das Lieblingsfoto seines Enkels Nikolas Humbert und es passt eher zu seiner humanistischen Gesinnung als die gängigen Portraits, die ihn – dem Zeitgeschmack entsprechend streng und unnachgiebig erscheinen lassen.
Lyrik tritt besonders an Anfang und Ende von Mahrs Schaffen neben Drama und Roman hervor. 1917, während des Ersten Weltkriegs, erscheinen die „Sonette im Unterstand“, 1932, kurz vor Hitlers Machtergreifung, die „Sieben Sonette vom neuen Noah“.
Wer die Kriegsgedichte liest, muss dem Herausgeber recht geben: Mohr steht bekannteren Dichtern wie Georg Heym, Georg Trakl oder Theodor Däubler qualitativ in nichts nach, bedient sich genauso sprachgewaltiger expressionistischer Bilder, – schlägt aber mitten im Grauen versöhnlichere Töne an.

DIE FORM DES SONETTS
Das zeigt sich schon am konsequenteren Festhalten am Sonett. Die strenge Form des Sonetts, die im Impressionismus wieder aufgeblüht war, bringt eine formale Ordnung in das Chaos der äußeren und inneren Welt im Krieg. Seine Verwendung ist ein Alleinstellungsmerkmal. Mohr war als Sanitäter und Arzt bei Verdun eingesetzt, sein Schreiben war mit ein Mittel zur Bewältigung der Kriegserlebnisse. Inhaltlich schwingt neben den Kriegsgräueln und deren Fortdauern im Weltenlauf am Ende der „Sonette des Infanteristen“ auch Hoffnung mit – in Träumen und Liedern, die das lyrische Ich hinwegtragen wie ein Ballon – etwa in dem Gedicht „Zuneignung“.
In den „Sonetten nach durchlesenen Nächten im unterstand“ findet der Infanterist Trost in Gedanken an Israel und der Lektüre von Philosophen – wie Spinoza und Schelling – und Schriftstellern – wie Lord Byron, Schiller und Jean Paul: Literatur wird zum Anker der Humanität in menschenverachtenden Zeiten. Schillers Erhabenheit bietet dem Schmutz und der Gefahr die Stirn, Jean Pauls . Humor übertönt den krachenden Bombeneinschlag.

DER NEUE NOAH
,,Die Sonette vom neuen Noah“ zeigen einen der Erde und ihren Bewohnern entfremdeten Noah. Nachdem die Tiere gerettet sind, seine Frau und seine Kinder sich auf der Arche eingerichtet haben und er sein Tagwerk vollbracht hat, wendet er sich von Welt und Weib ab, steht als Lenker des Schiffes nachts an Deck. Und fragt sich, welchen Sinn seine Mission überhaupt hat. Auch der alte Wal, der die Arche begleitet, weiß keinen Rat. Doch bei Sonnenaufgang schöpft Noah neuen Mut. Da kippt das Grau des Himmels ins Blau. Und die Fahrt geht weiter – regenbogenwärts. Herausgeber Esperer stellt Mohrs Lyrik Gedichte den Ikonen des Expressionismus gegenüber. Er nimmt den Leser mit auf eine Reise durch Schmerz und Qual – von denen uns eher Mohr erlöst als seine berühmteren Kollegen.

NEU ENTDECKTE LYRIK
Was die Inhalte betrifft: Die anfängliche Kriegsbegeisterung der Maler Franz Marc und August Macke ist ihm ebenso fremd wie die plakative Antikriegslyrik von Karl Kraus und Kurt Tucholsky oder die Düsternis von Georg Trakls Gedicht „Grodek“. Stattdessen gibt es Parallelen zu mittelalterlicher Liebeslyrik und Anspielungen auf jüdische Traditionen.
In der Weimarer Republik war der Dichter vor allem als Dramatiker und Erzähler geschätzt. Das Verdienst Esperers ist es, ihn nun auch als Lyriker einem breiteren Publikum vorzustellen. Neben biographischen, religiösen und literarischen Bezügen liefert Esperer erfreuliche Deutungshilfen.
Fazit: Allein das bisher unveröffentlichte, D.H. Lawrence gewidmete, Gedicht „Mondvogel“ ist ein echtes Juwel. Das Buch als Ganzes ist: unbedingt lesenswert! Zumal so einem zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Autor endlich die Ehre widerfährt, die ihm gebührt.

Max Mohr. „Es sei denn regenbogenwärts „. 88 Seiten. Baunach: Spurbuchverlag 2020.14,80 Euro. ISBN 978-3-8877 8-589-5. Repro: Sonntagsblatt